Buchemotion zu Der Mann, der mit Schlangen sprach von Andrus Kivirähk
Worum geht es?
Leemet lebt im Wald, zusammen mit seiner Mutter, seiner Schwester und seinem Onkel Voteele. Sein Onkel ist einer der letzten, die noch die Schlangenworte beherrschen und er bringt sie Leemet bei. Wir begleiten Leemet durch seine Kindheit und Jugend, lernen viel darüber, warum er an der Welt im Wald, an den Schlangenworten und an den Tieren so hängt. Die Menschen im Wald leben im Einklang mit der Natur, sie jagen, um zu essen und die Tiere ergeben sich ihnen freiwillig, weil sie niemals unnötig töten. Im Wald gibt es aber auch extreme Charaktere, die an die Waldgeister und die Rückkehr des Nordlanddrachen glauben, so zum Beispiel den Waldweisen Ülgas oder auch die Menschenaffen Pirre und Rääk. Diese Charaktere versuchen immerzu, am alten mit aller Macht festzuhalten und haben grausame Methoden, um an ihrem Glauben festzuhalten, wobei sie auch über Leichen gehen.
Gleichzeitig gibt es die Welt im Dorf – wo Leemets Mutter früher gelebt hat. Die Waldmenschen verteufeln die Dorfmenschen regelrecht – und umgekehrt. Aus Sicht der Dorfmenschen sind die Waldmenschen rückständig, unzivilisiert und sie versuchen, sie zum Glauben an die Kirche zu bekehren. Die Steigerung dieser Dorfwelt ist die Welt der Ritter und der Mönche, die für Dorfmenschen unantastbar und fast schon heilig sind.
Leemet wird also in dieser Welt der krassen Gegensätze erwachsen und muss seinen Platz finden in einer Gesellschaft, in der jeder der Überzeugung ist, auf dem einzig richtigen Weg zu sein und den Schlüssel für ein erfülltes Leben zu haben. Dabei lernt er von all diesen Welten aber auch die Schattenseiten kennen. Er erlebt Abenteuer in allen Teilen seiner Welt und kommt in jede der Versuchungen, mit denen der jeweilige Teil der Gesellschaft ihn zu locken versucht. Seine persönliche Lösung für alle Probleme ist dabei der Nordlanddrache, der früher alles Unheil aus der Welt beseitigt hat. Doch es schein unmöglich, ihn noch zu rufen, denn er hört nur die Schlangenworte und die spricht außer Leemet kaum noch jemand.
Meine Meinung:
Das Buch ist absolut neu und ungewöhnlich, die Geschichte hat mich sehr gepackt, auch wenn es aus meiner Sicht ein paar Schwächen hat. Dabei ist zu betonen, dass der gesellschaftskritische Teil im Kampf um Macht, Glauben und Überzeugung vor dem Fantasy-Anteil überwiegt. Vor Allem ab Mitte des Buches wird die Handlung zunehmend hektischer, die Konflikte spitzen sich zu und werden dann doch sehr brutal ausgetragen. Alle Charaktere sind sehr stark ausgearbeitet und werden im Kopf lebendig, wobei wenige altbekannte Stereotypen ausgegraben werden, sondern viel Fantasie im Spiel ist. Die Sprache ist einfach und gleichzeitig sehr deutlich, was vor Allem in den brutalen Teilen dann doch dazu führte, dass ich ab und an mein Kopfkino gerne ausschalten wollte. Gegen Ende habe ich mich dann tatsächlich kurz gefragt, ob der Autor die Lust am Buch verloren hat und daher relativ schnell mit allem abschließt, jedenfalls könnte dieser Eindruck durchaus entstehen. Auch wenn das Thema Nordlanddrache dann nochmal aufgegriffen wird, war mir das dann irgendwie zu holprig, als wäre es ihm am Ende noch eingefallen, dass da ja ein Nordlanddrache war und man den Faden der Geschichte noch zu Ende spinnen müsse. Aber auch hier zeigte sich für mich, dass der Fantasy-Anteil eben nicht die Hauptrolle spielte.
"Der Mann, der mit Schlangen sprach", war mein erstes estnisches Fantasybuch. Anstatt eines klassischen Fantasyromans hatte es für mich vielmehr Züge einer romanhaften Fabel, was mich zu einem gewissen Abzug für den vernachlässigten Fantasyanteil führt, der durchaus beworben wurde und gerade auch unter dem Label Hobbit Presse eine Erwartungshaltung bei mir weckte, der das Buch dann schlussendlich nicht gerecht wurde. Unabhängig davon hat es mich mit vielen für mich neuen Ideen überrascht, hat mich mitgenommen in eine mir unbekannte Welt und mir gut gefallen, insbesondere auch einige wirklich tolle Zitatperlen waren enthalten. Vor Allem hat es mich zum Nachdenken gebracht, denn für mich spiegelt es tatsächlich viele Punkte der menschlichen Geschichte, aber auch des aktuellen Geschehens sehr gut wieder.
Mein Fazit:
Das Buch hat mich in sich hineingezogen, ordentlich durchgekaut und am Ende völlig zerstört wieder ausgespuckt - an einer anderen Stelle als der, an der ich es vermutet hätte. Es hat mich gut unterhalten, konnte meinen Erwartungen jedoch nicht komplett gerecht werden, daher vergebe ich 🍀🍀🍀🍀 (4 von 5 Kleeblättern)
PS: Danke an den Klett Cotta Verlag für das Rezensionsexemplar